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Redebeitrag "Gegen rechte Querdenker*innen, Antisemitismus und Verschwörungsmythen"

"Ich bitte euch, wenn ihr in Zukunft sogenannte „Spaziergänger*innen“ mit Kerzen und Lichtern durch die Stadt laufen seht, denkt bitte immer zuerst an diese Opfer der Pandemie."

Bildrechte: WABE e.V.

Da uns viele Anfragen zur Einordnung der „Spaziergänge“  von „Freien Niedersachsen“, „Querdenker*innen“ und „Impfgegner*innen“ in der Region Verden-Rotenburg/W. und zu den Zielen der erfolgreichen Gegendemonstration mit über 600 Teilnehmer*innen am 17.1.22 in Verden erreicht haben, haben wir Rudi Klemm gebeten, sein Redemanuskript  zur Veröffentlichung zur Verfügung zu stellen.  Es wurde zur besseren Lesbarkeit überarbeitet und gegliedert.

Guten Tag,
mein Name ist Rudi Klemm.
Ich stehe hier heute im Auftrag des Vereins WABE e.V., der den satzungsgemäßen Auftrag hat, antifaschistische Bildung und Kultur zu fördern. Ich bin vom Bündnis "VERbündet gegen Rechts" gebeten worden, eine Einordnung der sogenannten "Spaziergänge" vorzunehmen.

Die Pandemie fordert viele Opfer, die wir nicht aus dem Blick verlieren dürfen

Inzwischen sind im Landkreis Verden (Stand 14.1.2022)  98 Menschen im Zusammenhang mit Corona gestorben.

Ich bitte euch, wenn ihr in Zukunft sogenannte „Spaziergänger*innen“ mit Kerzen und Lichtern durch die Stadt laufen seht, denkt bitte immer zuerst an diese Opfer der Pandemie.  

Viele weitere Menschen liegen auf Intensivstationen, sind schwer und dauerhaft erkrankt. Manche kämpfen seit Monaten mit Langzeitfolgen der Infektion.  Deshalb macht es mir Sorgen, wenn heute im Januar 2022 Menschen die Pandemie leugnen oder verharmlosen.

Ich respektiere die Ängste

Ich weiß, dass Menschen aus sehr individuellen Ängsten heraus, zögern, sich impfen zu lassen. Das kann ich respektieren. Wenn aber keine medizinischen Gründe vorliegen, halte ich es für egoistisch. Punkt.
Ich respektiere auch jede, die sich gegen unangemessene Maßnahmen zu Wort meldet, juristisch vorgeht oder mit einer Demonstration auf die eigene Notlage hinweist. Das Demonstrationsrecht gilt es auch dann zu verteidigen, wenn wir die Inhalte einer Demonstration nicht teilen.

Neonazis, die sich als besorgte Bürger tarnen, werden wir allerdings auch in Zukunft nicht unwidersprochen durch unsere Stadt „spazieren“ lassen.

Kritik an Fehlentwicklungen ist wichtig, gehört zur Demokratie. Ich finde auch manche Regelungen falsch, unverständlich oder widersprüchlich. Jede von uns hat sich in den vergangen 2 Jahren über Regelungen oder deren Umsetzung geärgert. Wer aber sachliche Kritik und glaubwürdigen Protest artikulieren möchte, ist schlecht beraten, sich mit extremen Rechten und antisemitischen Verschwörungsgläubigen zusammen zu tun.

Glaube an Verschwörungsmythen eint die rechte Querdenker*innen-Szene

Die Drahtzieher*innen der rechten Querdenker*innen, die hier seit Dezember  regelmäßig durch Verden marschieren, haben aber kein Interesse an einem konstruktiven Diskurs. Rechte Querdenker*innen wollen etwas anderes, auch wenn es sich bei ihnen nicht um eine homogene Gruppe handelt. (Neonazis, Esoteriker*innen, Reichsbürger*innen, Völkische Nationalisten,  Alternative, Antroposoph*innen und viele Anhänger*innen der sogenannten „alternativen Medizin“)

Ich habe mir in den letzten Wochen die Kommunikation der Szene in Messenger-Gruppen angeschaut. Bei allen Unterschieden gibt es bei den Wortführer*innen nach meiner Meinung ein paar Gemeinsamkeiten:
1.    Es eint sie die Anschlussfähigkeit an antisemitischen Verschwörungsmythen.
2.    Nach außen reden sie viel von Freiheit, Frieden und Liebe. Sie beklagen Zensur in den sogenannten Mainstream-Medien. Wer in den Gruppen sachlich Widerspruch äußert, wird aber schnell verbal attackiert, als „Schlafschaf“ betitelt, lächerlich gemacht und am Ende gesperrt.
3.    Sie stellen das demokratische Gemeinwesen grundsätzlich in Frage und sehen sich als Opfer einer weltweiten Verschwörung, gegen die alle Mittel legitim erscheinen.  Auf der genehmigten Demo der Querdenker*innen am 3. Januar wurde auf der Abschlusskundgebung offen gegen die Demokratie gehetzt und deutlich gemacht, dass man gegen „das System“   der demokratischen Politiker*innen und der sogenannten Mainstreammedien kämpft.
4.    Sie streben die Deligitimierung von demokratischen Institutionen und Akteur*innen an. Das „Katz und Maus-Spiel“, das die rechten Querdenker*innen seit Wochen mit Ordnungsbehörden veranstalten ist nur ein Beispiel dafür.

5.    Jede Maßnahme zur Pandemiebekämpfung (Testen, Impfen, Abstand, Masken) wird grundsätzlich abgelehnt und es werden Verschwörungsmythen sowie Horrorszenarien dazu verbreitet. 


6.    Fachleute wie Andreas Zick vom Bielefelder Institut für Gewalt und Konfliktforschung weisen seit Monaten auf die Radikalisierung der Szene hin.  Letzte Woche wurde in der Verdener Aller Zeitung auf wissenschaftliche Untersuchungen hingeweisen, die anschaulich belegen, wie Verschwörungsmythen unsere Gesellschaft spalten. Meine Kolleg*innen der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in Niedersachsen registrieren seit 2020 landesweit eine Einflussnahme durch extreme Rechte und autoritäre Nationalradikale.

Sicherheitsbehörden ordnen viele Teilnehmende aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes dem alternativen oder bürgerlichen Spektrum zu, ohne deren Einstellungen wirklich zu kennen. Das könnte sich als problematischer Fehler erweisen.

Faschisten laufen nur noch selten mit Springerstiefeln durch die Stadt. Ich erinnere nur an Herrn Höckes Flügel und die versuchte Reorganisation dieser faschistischen Schattenorganisation der AfD in Verden.


Polarisierung und Eskalation als wiederkehrendes Muster

Das Muster der Einflussnahme durch rechte Demagogen folgt seit Jahren dem gleichen Schema: Ein emotional aufgeladenes Thema wird gezielt polarisiert. Komplexe Sachverhalte werden auf eine schlichte Freund/Feind-Konstruktion reduziert. Zu dieser Strategie gehört auch die Selbstinszenierung als Opfer, wie wir sie von autoritären Nationalradikalen im Umfeld der AfD kennen.
Vor allem antisemitische Welt-Bilder und Narrative sind ein konstituierendes Element der Querdenker*innen.

Im Landkreis Verden ist diese Szene von Beginn an mit extremen Rechten und mit Demokratiefeindlichkeit verknüpft. Zu den ersten Forderungen der Bewegung „Widerstand 2020“, ein Vorläufer der Partei „dieBasis“, gehörte die sofortige Auflösung  des Deutschen Bundestages.  
Beteiligt sind vor Ort gewaltbereite Nazis, Ultranationalisten, Reichsbürger*innen, Völkische Siedler*innen, christliche Fundamentalisten, Akteur*innen aus dem Spektrum im Umfeld der AfD sowie aus diversen extrem rechten Kontexten.
In Verden wurden bei einer Querdenker*innen-Demo am 1. Januar Polizisten angegriffen und verletzt. In Delmenhorst und Cuxhaven wurden Anschläge auf die Rathäuser mutmaßlich mit einem Hintergrund aus der dortigen Szene verübt. In Cuxhaven wurden zudem Kommunalpolitiker*innen massiv attackiert. In Minden marschierten die Querdenker*innen jüngst vor dem Privathaus  der Landrätin auf. Regelmäßig werden bei den sogenannten Spaziergängen Journalist*innen beleidigt und attackiert.

Querdenker*innen sind nach RECHTS weit offen. Sie werden nicht nach RECHTS getrieben oder von RECHTS unterwandert.

In Rotenburg ließen die Querdenker*innen bei einer Demo im November den rechtsextremen pensionierten Pastor Friedrich Bode reden. Den habe ich persönlich bei den Prozessen am Verdener Landgericht gegen die Holocaustleugner*innen Rigolf Hennig und Ursula Haverbeck als deren Unterstützer erleben dürfen.  

Der Rechtsextremist Felix R. organisert die Querdenker*innen-Demos in Verden federführend mit und ist gut vernetzt mit AfD-Funktionär*innen. Schon beim ersten angemeldeten Verdener „Spaziergang“ war Felix R. fest in die   Organisation eingebunden. Er hat gleich zu Beginn die Koordination des Ordnerdienstes für die Spaziergänge übernommen. Häufig filmt er auch bei den „sogenannten Spaziergängen“ und ist vermutlich auch für einen Werbefilm der Verdener Querdenkerszene verantwortlich, der gerade verbreitet wird.
In den Messenger-Gruppen warb er mit seinem Profilbild, einem T-Shirt mit einem stilisierten Molotowcocktail, für ein rechtsextremes Musik-Label. Ein anderes Bild zeigt ihn mit einem T-Shirt der Combat 18-nahen Nazi-Band „Weiße Wölfe“.  Ausgerechnet er beschwert sich über seinem FB-Account, dass die sogenannten Spaziergänge mit Rechtsextremen in Verbindung gebracht werden.

Erwähnenswert ist auch die Reichsbürger-Szene, die unter anderem unter dem Kürzel SHAEF auftritt und damit droht, dass die Einhaltung der Hygieneregeln den Tatbestand des Hochverrats erfüllen würde und man nach Kriegsrecht bestraft werden würde. Die veröffentlichen bisweilen auch schon mal Todesurteile mit Bild und Kontaktdaten. Eine entsprechende Gruppe macht hier vor allem im Bereich des Fleckens Ottersberg aber eben auch auf verschiedenen Querdenker*innen-Spaziergängen von sich reden.
Antisemitismus und extrem rechte und demokratiefeindliche Diskurse sind eng mit der Querdenker*innen-Bewegung verknüpft. Es macht deshalb Sinn, diesen wichtigen Aspekt bei der Einordung der Bewegung zu berücksichtigen und sich damit kritisch auseinanderzusetzen.
Darüber hinaus sollte auch jenseits der Überlegungen zur Einflussnahme von extremen Rechten, der Sozialdarwinismus thematisiert werden, der hinter der Idee steckt, dass Menschen schon allein durch gutes Essen, Sport und frischer Luft gegen eine Virusinfektion ausreichend geschützt seien. Wenn dann die Darstellung folgt, dass wissenschaftsfundierte medizinische Hilfen angeblich den Lauf der Natur durcheinanderbringen, ist der Weg zur Ideologie für eine „natürlichen Auslese“ nicht weit.

Klare Kante gegen extreme Rechte, Antisemitismus und Verschwörungsmythen. Dem kann ich zu 100% zustimmen.

Gleichwohl sollten wir als Zivilgesellschaft nicht der Strategie der Eskalation auf den Leim gehen und stattdessen auf eine Versachlichung der Diskurse hinwirken. Manche Mitläufer*innen der sogenannten Spaziergänge sind für uns in persönlichen Gesprächen noch erreichbar.

Allerdings, wer weiter mit Nazis spaziert hat nix kapiert.
Bleibt wachsam!
Bleibt gesund. Danke!

Verden, 17.01.2022
Rudi Klemm

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