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Rechte Christen auch ein Problem in Verden? Vortrag und Gespräch mit Liane Bednarz

Am vergangenen Donnerstag, den 14.10., hielt Liane Bednarz auf Einladung des WABE e.V. einen Vortrag über ihr Buch „Die Angstprediger – Wie rechte Christen Gesellschaft und Kirche unterwandern“ im Lesesaal der Stadtbibliothek Verden vor knapp 40 Zuhörerinnen und Zuhörern. Dabei wurde deutlich, dass insbesondere Themen wie Gender, Ehe für alle, Abtreibung oder der Umgang mit dem Islam Anschlussfähigkeit für die (gläubige) Mitte der Gesellschaft an extrem rechte Positionen darstellen können. Die zahlreichen Wortmeldungen aus dem Publikum belegten die Relevanz des Themas. Zwar war man sich über die zahlenmäßige Bedeutung rechter Christen innerhalb der Gemeinden uneins, doch ließen die Fragen und Anmerkungen erkennen, dass sich insbesondere gläubige Menschen betroffen fühlen, wenn sich Teile einer Gemeinde radikalisieren.

Die Buchautorin und promovierte Juristin hielt ihren Vortrag, der mit zahlreichen Bild- und Tonquellen ihre Beobachtungen illustrierte, aus einer persönlichen Perspektive: Als gläubige Christin und Konservative habe sie bei einem Teil ihres Bekanntenkreises eine radikalisierte Sprache vor allem in den sozialen Netzwerken wahrgenommen. Dies sei Anstoß für umfassende Recherchen gewesen, die schließlich mit theoretischer Grundierung in ihrem Buch „Die Angstprediger“ mündeten. Mit Diktaturbegriffen wie „Merkel-Regime“, „Volksverräter“ oder „Systempresse“ bedienten sich Teile des sich selbst als christlich verstehenden Milieus einer Kampfrhetorik, die so auch in extrem rechten Kreisen wie PEGIDA verwendet werde. Auffällig sei dabei die Bedingungslosigkeit, mit der entsprechende Akteure auf Andersdenkende reagierten und dabei jegliche christliche Nächstenliebe vermissen ließen. Schon kurz nach Beginn der Corona-Pandemie habe sich gezeigt, dass Akteure des sog. Lebensschutzes, eine Bewegung, die z.T. radikale Abtreibungsgegner versammelt, gerade nicht zur besonnenen Umsicht und Anwendung der Schutzmaßnahmen mahnten, sondern die Krankheit verharmlosten und vehement auf die Durchführung von Präsenzgottesdiensten bestanden, was Bednarz als „Heils-Egoismus“ bezeichnete. Einige verstanden sich gar als Widerstandskämpfer in der Tradition von Stauffenberg, Bonhoeffer oder Sophie Scholl, andere verbreiteten ähnliche Verschwörungstheorien wie Vertreter der Querdenken-Bewegung.

Als prominentes norddeutsches Beispiel für einen „Prediger mit Rechtsdrall“ wurde Olaf Latzel von der St. Martini-Gemeinde in Bremen genannt, der im November 2020 in erster Instanz wegen Volksverhetzung im Zusammenhang mit der Herabsetzung von Homosexuellen verurteilt wurde, wobei das Urteil noch nicht rechtskräftig ist.

Die Autorin, die sich in früheren Publikationen auch kritisch mit dem rechtsextremen Potenzial der Partei AfD auseinandergesetzt hat, klärte darüber auf, dass sich die heutige „Neue Rechte“ oft bürgerlich und konservativ präsentiere und dabei ihren antiliberalen, antipluralistischen und ethnopluralistischen Kern verschleiere. Mit dieser Strategie knüpft sie an völkisch-nationalistische Vordenker der Weimarer Republik wie Oswald Spengler und Carl Schmitt an, deren Theorien geistige Webgebereiter für den Nationalsozialismus waren. Während sich Teile des völkischen Flügels der AfD bewusst vom Christentum und seinen jüdischen Wurzeln distanzieren, ist bei anderen Teilen der neuen Rechten eine Hinwendung zum Christentum zu erkennen, bei der Religion und Glaube als Kampffeld gegen die moderne, offene und multireligiöse Gesellschaft instrumentalisiert werden. Als Beispiele für diese Tendenz nennt Bednarz Akteure der Identitären Bewegung oder aus dem Umfeld von Götz Kubitschek und dessen vom Landesamt für Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuften Institut für Staatspolitik (IfS). Auch zahlreiche Autoren der neurechten Wochenzeitung „Junge Freiheit“ verstehen sich als gläubige Christen und vertreten insbesondere zu Fragen der sexuellen Orientierung und Selbstbestimmung oder im Zusammenhang mit der Integration muslimischer Menschen radikale Ansichten.

Bednarz betonte, dass sie entsprechende Äußerungen bei Gläubigen aller Strömungen des Christentums vernommen habe: protestantisch wie katholisch, freikirchlich organisiert oder unter dem Dach der Amtskirchen. Sie persönlich versuche, trotz Anfeindungen und Morddrohungen, nach wie vor mit den Menschen ins Gespräch zu kommen und durch Aufklärung gerade im kirchlichen Kreis ein Bewusstsein für die Anschlussfähigkeit rechter Positionen für Gläubige zu schaffen.

Zum Hintergrund des Buches:

Liane Bednarz Buch knüpft an ein Thema an, dessen Ursprünge weit zurückreichen. Christentum und Antisemitismus, als Kern jeder rechtsextremen Ideologie, lassen sich nicht trennen. Zwar gab es Judenhass, Pogrome und Genozide bereits vor Beginn des Christentums, doch ist unumstritten, dass der Antisemitismus ständiger Begleiter der Geschichte des Christentums und keine Erfindung der Nationalsozialisten war. Im sog. Kirchenkampf gab es wiederum unvereinbare Positionen zwischen der „Bekennenden Kirche“ und den vom NS begeisterten „Deutschen Christen“. Einer kruden Theorie eines „germanischen Christentums“ folgend vertraten letztere die Auffassung, das Christentum hätte nicht jüdische, sondern germanische Wurzeln. Auch die pseudoreligiösen Elemente des Nationalsozialismus wurden in der Wissenschaft vielfach beschrieben. Adolf Hitler galt nicht wenigen als der Messias, der den Menschen christusgleich von Gott zu ihrer Erlösung gesandt wurde. Bis heute spielt Antisemitismus in manchen christlichen Kreisen eine Rolle, obwohl gleichzeitig Solidarität mit Israel bekundet wird. Schon der Begriff „Altes Testament“ (statt Erstes Testament oder Hebräische Bibel) kann antijüdisch gedeutet werden, wenn das „Neue Testament“ als ein Update und das einzig wahre Buch verstanden wird. Es gibt Christen, die einzelne Bibelstellen so interpretieren, dass die Menschen ausschließlich durch Jesus Christus zu Gott finden können. Im Umkehrschluss werden andere Religionen wie das Judentum damit abgewertet und so der interreligiöse Dialog, der die Grundlage für ein friedliches Miteinander der Religionen ist, erschwert. So überrascht es nicht, dass aus eben diesen Kreisen offen oder verdeckt zur Mission von Juden aufgerufen wird - eine Position, die beide Amtskirchen längst überwunden haben. Auch die Herausstellung messianischer Juden (Menschen jüdischer Herkunft, die an Jesus als Messias glauben) und ihrer Hilfswerke durch einige christliche Glaubensgemeinschaften kann fehlinterpretiert werden, wenn sich hinter der vorgeblichen Solidarität vor allem Missionierungsabsichten verbergen.

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