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Angriffe auf die Säulen der Demokratie: Dialogveranstaltung im Verdener Rathaus schafft Gelegenheit für Austausch und Vernetzung

„Es gibt keine Entschuldigung für Hass und Hetze“, so das klare Statement des Verdener Bürgermeisters Lutz Brockmann im Rahmen einer Dialogveranstaltung am 30. November im Verdener Rathaus. Zu einer Podiumsdiskussion und einem Workshop hatten der Wabe e.V. und die Bundeszentrale für politische Bildung in Kooperation mit der Beratungsstelle HateAid und dem Verein für digitale Zivilcourage „ichbinhier“ Bürgermeister, Kommunalpolitiker sowie Vertreter der Sicherheitsbehörden und Zivilgesellschaft eingeladen. Zahlreiche Gäste waren in den Ratssaal gekommen, um sich darüber auszutauschen, was Amts- und Mandatsträgern im Umgang mit Anfeindungen, Bedrohungen, Hass und Gewalt helfen kann.

Auf dem Podium vertreten waren neben Lutz Brockmann der Nienburger Bürgermeister Jan Wendorf, die Kommunalpolitikerinnen Barbara Weißenborn und Heidrun Kuhlmann, die Leiterin der Polizeiinspektion Verden/Osterholz Antje Schlichtmann sowie Jan Krieger von der Mobilen Beratung Niedersachsen gegen Rechtsextremismus für Demokratie. Nahezu täglich eine Straftat gegen kommunale Amts- und Mandatsträger verzeichnete das Landeskriminalamt Niedersachsen für das Jahr 2021, viele davon waren politisch motiviert. Das deckte sich mit den Erfahrungen der auf dem Podium vertretenen Bürgermeister und Kommunalpolitikerinnen, die dem Moderator und Journalisten Andreas Speit von entsprechenden Vorfällen berichteten, aber auch auf eine veränderte Diskussionskultur hinwiesen. Für Jan Wendorf markierten die Jahre 2015 und 2020 Wendepunkte in der politischen Kultur, womit ein allgemeiner Unmut „gegen die da oben“ und Verschwörungsdenken einhergingen. Der politische Streit und das Ringen um Kompromisse seien wichtig, allerdings sei der Ton deutlich rauer geworden und oftmals könne man sein Gegenüber nicht mehr mit Argumenten erreichen, bestätigte auch das Kreistagsmitglied Barbara Weißenborn. Neben strafbaren Handlungen handelt es sich oft um niederschwellige Versuche der Einschüchterung, wie Polizeidirektorin Antje Schlichtmann betonte. „Mit Sprache fängt es an, dann folgen Taten“, gab sie zu bedenken und versicherte, dass die Polizei jeden Vorfall ernst nehme. Sie verwies dabei auch auf die Schwerpunktstaatsanwaltschaft in Göttingen. Dort werden strafbare Handlungen im Internet zentral verfolgt. Dass man eindeutige Straftaten zur Anzeige bringen sollte, darin waren sich alle Diskutanten einig. Dabei könnten Kommunalpolitiker mittlerweile das Rathaus als ladefähige Adresse angeben. Der Umgang mit den eigenen Daten sei ein sensibler Punkt, den auch Jan Krieger von der Mobilen Beratung betonte. Verdächtige Mails könnten in der Verwaltung zentral gesammelt und von einer Person mit juristischen Fachkenntnissen ausgewertet und ggf. an die Strafverfolgungsbehörden übergeben werden. Ein solches Monitoring sei wichtig, um das Dunkelfeld zu erhellen. Aus Sicht des Beraters sei zudem wichtig, die Tatmotive wie im Falle des Brandanschlags auf das Delmenhorster Rathaus nicht zu entpolitisieren.

In der sich anschließenden Diskussion zeigte sich, dass vor allem Frauen und jüngere Menschen, die sich kommunalpolitisch engagieren, in den Fokus geraten
. Barbara Weißenborn betonte, „die Diskriminierung von Frauen und von Frauen, die Politik machen, lässt sich nicht trennen“, was auch für Menschen gelte, die aufgrund ihrer Herkunft oder sexuellen Orientierung abgewertet werden. Während der Diskussion wurden bereits zahlreiche Hinweise auf mögliche Handlungsstrategien zum Umgang mit Hass und Hetze gegeben. Neben einer klaren Haltung und der Bereitschaft zur Unterstützung von Betroffenen durch Vorgesetzte sei es wichtig, sich fraktionsübergreifend mit Betroffenen zu solidarisieren und auch jene zu unterstützen, die weniger bekannt sind. Dazu gehöre auch die Unterstützung von zivilgesellschaftlichen Akteurinnen wie den OMAS GEGEN RECHTS, die bei den teils aggressiven Corona-Protesten, deren Vertreter in Verden Politiker „in Arbeitslager nach Kasachstan“ schicken wollten, oftmals ohne Unterstützung ihre Stimme erhoben haben. Zum Stichwort demokratische Diskussionskultur betonte Heidrun Kuhlmann, Bürgermeisterin von Landesbergen und jahrelang Kreistagsvorsitzende, dass man auch in den politischen Gremien mit einem guten Beispiel vorangehen und sich selbstkritisch die Frage stellen müsse, wie man eigentlich miteinander umgehen wolle. Die zahlreichen sinnvollen Unterstützungsangebote, sei es die Präventionsangebote der Polizeidienststellen oder die Angebote von Beratungsstellen wie der Mobilen Beratung und HateAid, müssten noch bekannter werden.

Ein konkretes Angebot zum Umgang mit digitaler Gewalt folgte im Anschluss an die Podiumsdiskussion im Rahmen eines interaktiven Workshops.
Stefanie Zacharias, die bei HateAid die Betroffenenberatung leitet und Johanna Polsfuß, die Bildungsprojekte beim Verein „ichbinhier“ koordiniert, vermittelten den Teilnehmenden in einem Crashkurs nützliches Wissen über die Dynamiken von „Shitstorms“, hinter denen oft eine kleine, aber laute Minderheit stecke und gaben Einblicke in die Logiken und Besonderheiten der Meldefunktionen von Social Media-Plattformen. Die Plattformen machten es den Nutzern rein technisch oft nicht leicht, Hasskommentare zu melden. Dass es nicht immer einfach ist, strafbare von nicht strafbaren Kommentaren zu unterscheiden, erfuhren die Teilnehmenden ganz praktisch. Da diese Entscheidung letztlich von den Plattformen bzw. Strafverfolgungsbehörden getroffen werden muss, sollten juristische Unklarheiten niemanden davon abhalten, Hasskommentare zu melden. Stefanie Zacharias warb dafür, diese Meldungen immer im Rahmen des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes vorzunehmen und nicht nach den sogenannten Community-Standards der Richtlinien. Nur dann würden die Plattformen ihrer gesetzlichen Verantwortung zur Prüfung der Inhalte ernsthaft nachkommen. Der Gesetzgeber selbst tue bereits viel, um Amts- und Mandatsträger zu schützen. Auch das höchstrichterliche Urteil, wonach Personen, die in der Öffentlichkeit stehen, sich nicht beleidigen lassen müssen, sei ein wichtiges Signal. HateAid hatte die Politikerin Renate Künast jahrelang auf ihrem Weg durch die gerichtlichen Instanzen begleitet. Dass Wegschauen keine Lösung ist, darauf machte Johanna Polsfuß aufmerksam: Während es oft keinen Sinn mache, sich auf inhaltliche Diskussionen mit den Verfassern von Hasskommentaren einzulassen, sollte man den menschenverachtenden Gehalt entsprechender Kommentare immer klar benennen, denn es ist die mitlesende, aber schweigende Mehrheit, die mit digitaler Zivilcourage noch erreicht werden kann.

Die Dialogveranstaltung war der Auftakt für weitere Angebote des Wabe e.V. im Rahmen des Projekts Plan KiK – Kooperativ in der Kommune für die Zielgruppe der Amts- und Mandatsträger und zivilgesellschaftlichen Akteure. Das Projekt wird gefördert mit Mitteln des Landespräventionsrats und Bundes im Rahmen von „Demokratie leben“.

Kommentare

von Dorian Spange
04.12.2022
12:37 Uhr
Tolle Veranstaltung!

Es war eine sehr interessante und toll organisierte Veranstaltung, wofür ich mich hier bei den Diskutant:innen und Referent:innen bedanken möchte! Schön war vor allem, dass alle relevanten Akteur:innen vor Ort waren und man beispielsweise nicht über „die Polizei“ reden musste sondern sie selbst sich am Diskurs beteiligt hat.

Freue mich auf die weiteren Termine des Projekts!

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